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23. Juni 1944: Besuch des dänischen Roten Kreuzes in Theresienstadt

 


Von Anders Nedergaard Bæk Petersen und Pelle Mose Hansen, beide MA der Geschichte und Gesellschaftswissenschaften. Redaktion: Therkel Stræde, Prof. für Zeitgeschichte – alle Universität Süddänemark

Acht Monate nach der Deportation der dänischen Juden nach Theresienstadt wurde das Ghetto von einer Rotkreuz-Delegation mit Vertretern aus Dänemark und der Schweiz besucht. Zweck des Besuches war es, die Lebensbedingungen der dänischen Juden in Theresienstadt zu untersuchen und den deutschen Behörden klarzumachen, daẞ man die Deportierten nicht vergessen hatte. Der Zeitpunkt des Besuches wurde von den Nazis sorgfältig gewählt. Als die dänischen Juden im Oktober 1943 im Lager eintrafen, war das Ghetto überfüllt und die Lebensbedingungen sehr schlecht. Als Auftakt zum Besuch der Rote-Kreuz-Delegation beschlossen die Nazis daher, etwa 17.000 Juden in Vernichtungslager zu deportieren, damit es sich beim Besuch deutlich weniger Menschen im Ghetto befand.

Ungefähr so hat die Delegation des Dänischen Roten Kreuzes den Besuch in Theresienstadt ​​erlebt: Stillfoto aus dem deutschen Propagandafilm „Theresienstadt – ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“. Der Film entstand 1944 nach dem Besuch der Delegation.

Darüber hinaus war der Besuch im Sommer geplant, so daẞ die Gegend mit grünen Bäumen, Parks und Gärten gut und gemütlich aussah. Die Stadt wurde in bestimmten Bereichen restauriert, jedoch nur in den Bereichen, die die Delegation des Roten Kreuzes zu Gesicht bekommen sollte. Dies bedeutete, daẞ mehrere Häuser gestrichen wurden; ein Teil der Dänen zogen in neue Wohnungen in der Rathausgasse um. Diejenigen, die schwerkrank oder in schlechtem Zustand waren, waren entweder deportiert oder versteckt worden, damit die Rotkreuz-Delegation nicht sehen konnte, wie es in Wirklichkeit um die Insaẞen bestellt war. Den Auftakt zum Delegationsbesuch nannte man in Theresienstadt den „Verschönerungsprozess“. Dzu gehörte auch, daẞ auf dem Gebiet zwischen den Festungswallen kleine Küchengärten angelegt wurden. Die Delegation sollte den Eindruck bekommen, die Juden hätten die Freiheit hatten, für den Eigenverzehr Frischgemüse anzubauen.

Am Freitag den 23. Juni 1944, traf die Delegation in Theresienstadt ein. Der Delegation gehörten zwei dänische Vertreter an: Frants Hvass, hochrangiger Diplomat im dänischen Außenministerium, und Eigil Juel Henningsen, Chefarzt der nationalen Gesundheitsbehörde. Beide stellten nach dem Besuch im Ghetto Berichte her, die beim ersten Anblick unkritisch schienen und große Zufriedenheit mit der Besichtigung zum Ausdruck brachten.

Empfangen wurde die Delegation vom Kommandanten von Theresienstadt, SS-Sturmbannführer Karl Rahm, sowie vom Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Böhmen und Mähren, SS-Oberführer Erwin Weinmann.

Die Delegation traf sich zuerst mit dem jüdischen Ältesten Paul Eppstein, der wie ein Bürgermeister des Ghettos funktionierte, allerdings unter strengster Überwachung durch die deutsche Sicherheitspolizei. Eppstein war ausgewählt worden, um der Delegation die Stadt zu zeigen und sagte in seiner Begrüẞungsansprache, die Delegation werde "das Leben in einer normalen Stadt" beobachten können.

 

Während des Besuches traf die Delegation einige sorgfältig ausgewählte dänische Juden, mit denen sie auch sprechen durften. Diese dänischen Juden berichteten, wie es ihnen vorgeschrieben war, daẞ sich die Bedingungen in den letzten sechs Monaten stark verbessert hätten. Dabei ist natürlich zu bedenken, daẞ die dänischen Juden unter großem Druck standen. Sie trauten sich aus Angst vor möglichen Repressalien nicht, der Delegation irgendetwas mitzuteilen, was nicht zum vorher mitgeteilten ‚Drehbuch‘ gehörte. Eigil Juel Henningsen betonte in seinem Bericht, daẞ die Delegation sich frei durch die Stadt hätte bewegen und alles inspizieren können. Wenn man die hier rekonstruierte Route genauer betrachtet, sieht man aber, daẞ dies nicht stimmig war. Die Bewegung der Delegationsmitglieder durch das Ghetto war ebenso wie die Eindrücke, die sie an den einzelnen Stationen erhielten, alle von der deutschen Sicherheitspolizei aufs Genauste choreographiert, um einen trügerisch-idyllischen Bild zu geben.

Juel Henningsen und Hvass schilderten in ihren Berichten, wie den Juden in der Bibliothek, im Rathaus und im Kaffeehaus der Stadt die Gelegenheit gegeben würde, ihr kulturelles Leben zu pflegen. Dem Café direkt gegenüber war sogar auf dem Marktplatz eine Musikpavillon aufgebaut worden, wo ein jüdisches Orchester während des Delegationsbesuches den ganzen Tag spielte, und zwar unter der Leitung vom dänischen Kapellmeister Peter Deutsch.

Darüber hinaus besuchte die Delegation Waisenhäuser, Postämter, Apotheken und Krankenhäuser ebenso wie die Bank, wo ihnen gefälschte Kontenunterlagen ebenso wie das wertlose Ghettogeld vorgeführt wurden. Die Schlussfolgerung von den Berichten der dänischen Delegationsmitgglieder ebenso wie des schweizer Rotes-Kreuz-Vertreters Maurice Rossel lautete, daẞ an dem Gesehenen nichts zu beanstanden gäbe, außer der Tatsache, daẞ die Stadt etwas überfüllt vorkam. Diese Überbevölkerung sei laut dem Arzt Juel Henningsen das einzige Gesundheitsrisiko. Er sei aber auch der Meinung, daẞ die Herausforderungen durch gute Organisation gelöst werden könnten.

Nach dem Krieg wurde Eigil Juel Henningsen ebenso wie Frants Hvass mit ihren Berichten konfrontiert. Ihnen wurde vorgeworfen, blind und unkritisch gewesen zu sein. Dazu erklärten sie, daẞ ihnen nachdrücklich auferlegt worden war, nur über Dinge zu berichten, die sie mit eigenen Augen beobachtet hätten. Aus Angst um die Sicherheit der dänischen Juden hätten sie nicht gewagt, anders zu berichten; schlieẞlich wollten sie die deutschen Behörden in Dänemark und in Theresienstadt auf das Bild verpflichten, was man ihnen vorgeführt hatte, um dadurch den Deportierten möglichst zu schützen. Juel Henningsen behauptete, während des Besuches skeptisch gewesen zu sein; u.a. hätte er wohl gemerkt, daẞ viele Gebäude auffällig neurenoviert aussahen, was darauf schlieẞen lieẞ, daẞ die Bedingungen vor dem Delegationsbesuch schlechter gewesen seien. Ebenfalls konnte Juel Henningsen von den wenigen kurzen Gesprächen, die er im Beisein eines dänischkündigen Gestapomanns mit einigen aus Dänemark deportierten Juden geführt hatte, nur die Worte wiedergeben, wie sie tatsächlich gefallen waren.

Wie Maurice Rossel von der Komitee des Internationale Roten Kreuzes wurden Juel Henningsen und Frantz Hvass nach dem Krieg massive Kritik ausgesetzt, sie hätten sich von der deutschen Propaganda betören lassen. Im Kenntnis der Tatsache, daẞ ihre Berichte in die Hände der deutschen Besatzungsbehörden landen und somit nach Berlin gelangen würden, hätten sie – so ihre Selbstverteidigung – darauf gesetzt, den Deutschen vorzugauckeln, die ‚Inspekteure‘ hätten das Propagandabild für voll genommen, um die Besatzungsmacht auf die fragilen Garantien möglichst festzuhalten, die sie nach der Deportationsaktion im Oktober 1943 abgegeben hatten: daẞ die aus Dänemark deportierten Juden weiterhin in Theresienstadt bleiben und von Dänemark aus mit zusätzlichen Lebensmitteln versorgt werden sollten. Diese Strategie entsprach der allgemeinen dänischen ‚Politik der Zusammenarbeit‘ und blieb insofern erfolgreich, daẞ von den aus Dänemark deportierten Juden nur einen ‚auf Transport‘ nach Auschwitz gestellt wurde, und daẞ die Zahl der Todesfälle wegen Hungers nach dem Besuch des dänischen Delegation unter den dänischen Juden stark zurückging.

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