Dänische Juden in Theresienstadt – Topographie der Erinnerung
Geschichte Theresienstadts und der dänischen Juden – kurz erzählt
Als die Deutschen am 9. April 1940 Dänemark besetzten, erkannten sie weiterhin Dänemark als einen souveränen und neutralen Staat an. Das dänische politische System durfte bestehen. Die sozialdemokratisch-radikale Regierung wurde durch Repräsentanten der bürgerlichen Parteien erweitert, und zusammen mit den Wirtschaftsverbänden ließ man sich auf eine Zusammenarbeit mit den Besatzern ein. Für Deutschland war diese Zusammenarbeit ein großer wirtschaftlicher Vorteil, und als die dänischen Autoritäten jede Form der Rassengesetze ablehnten, verzichteten die Besatzer vorläufig auf antijüdische Maßnahmen.
Die Spielregeln änderten sich jedoch dramatisch im August 1943. Nach einer Welle von Streiks und Sabotageaktionen im ganzen Land konnten die Regierung und das Parlament nicht mehr arbeiten. Eine Widerstandsbewegung war entstanden, und mehr und mehr Dänen unterstützten sie. Obwohl führende dänische und deutsche Beamte versuchten, die Zusammenarbeitspolitik fortzuführen, entstand ein Machtvakuum. Die Besatzer erhöhten den Druck, so dass 1944-45 von ständig wachsendem deutschen Terror und einem immer aktiveren Widerstand geprägt war.
Die ”Judenaktion” am 1. Oktober 1943 und die ersten beiden Deportationszüge aus Aalborg und Kopenhagen am folgenden Tag waren der erste große Schritt in Richtung der Gewaltherrschaft, die bereits im restlichen Europa unter deutscher Kontrolle Alltag war. Man könnte sagen, dass der Aufstand im August und die Judenaktion von 1943 sozusagen die Lage im besetzten Dänemark normalisierte. Die führenden dänischen Beamten versuchten weiterhin, Land, Bevölkerung und die Deportierten zu schützen, aber mit wechselhaftem Erfolg.
Eigentlich sollten Juden, die in „gemischten Ehen“ mit Nichtjuden und deren Kinder nicht deportiert werden, auch keine Juden über 65 Jahren. Aber die deutsche Polizei sah diese Formalitäten nicht so eng. Alle, die nach Theresienstadt geschickt wurden, lenkten nur davon ab, dass die Judenaktion eigentlich ein Fiasko gewesen war. Sie kam zu spät, und die große Mehrzahl der Juden war bereits entkommen.
Vier Transporte zwischen Oktober und November 1943 sowie einige weitere im Frühjahr 1944 brachten Juden aus Dänemark nach Theresienstadt. Theresienstadt war ein Ghetto, das im November 1941 als Sammelpunkt für die Juden aus Böhmen und Mähren (also dem ehemaligen Tschechien) eingerichtet wurde. Hier sollten sie Konzentriert, geplündert und anschließend in Ghettos in den deutsch besetzten „Ostgebieten“ geschickt werden.
Ab Juni 1942 brachte man auch deutsche Juden nach Theresienstadt: Teils Künstler und Wissenschaftler, dekorierte Kriegsveteranen, Geschäftsleute mit internationalen Beziehungen und andere ”Prominente”, teils alte Menschen. Mit dem Sommer 1941 (dem Angriff auf die Sowjetunion) wandelte sich die deutsche Politik von der Zwangsausweisung von Juden zum systematischen Massenmord. Unter dem Vorwand der Umsiedlung zur Arbeit in den Ostgebieten wurden Juden deportiert. Um nicht offensichtlich zu machen, dass diese Umsiedlung in Wirklichkeit die Ermordung in den Gaskammern bedeutete, wurden Juden, die zu schwach zum Arbeiten waren, nach Theresienstadt geschickt.
Theresienstadt war in einer alten Festungsstadt eingerichtet, die am Ende des 18. Jahrhunderts für 3000 Soldaten und eine entsprechende Anzahl Zivilisten erbaut worden war. Bei Höchstbelegung lebten bis zu 60.000 Juden im Ghetto, so dass die Überbevölkerung extrem war und sich unzählige Krankheiten verbreiteten. Die deutsche Gestapo hatte einen jüdischen „Ältestenrat“ ernannt, der im Alltag verwalten sollte, aber es standen weder ausreichend Lebensmittel noch Medizin zur Verfügung, so dass die Juden in Hunger und Elend lebten. Insgesamt kamen 156.000 Juden durch Theresienstadt. 33.500 von ihnen starben im Ghetto. 88.000 weitere wurden mit großen Zugtransporten nach Auschwitz-Birkenau und in andere Vernichtungslager geschickt, wo die meisten gleich bei der Ankunft mit Gas ermordet wurden.
Bis auf einen einzigen wurden die 470 Juden aus Dänemark nicht aus Theresienstadt weitertransportiert. Die dänischen Autoritäten übten ununterbrochen ihren Einfluss aus, um den Kontakt beizubehalten und erreichten, dass ab Frühling 1944 Lebensmittelpakete zu den Dänen ins Ghetto geschickt werden durften, und dass zwei dänische Beamte am 23. Juni 1944 bei einer Besichtigung feststellen konnten, dass die dänischen Juden am Leben waren. Die dänische Forderung, die Deportierten nach Hause zu holen, wurde bis April 1945 nicht stattgegeben. Bis dahin waren 53 der Juden aus Dänemark unter den erbärmlichen Lebensbedingungen in Theresienstadt umgekommen.
Diejenigen, die Not und die brutale Unterdrückung im Ghetto überlebten, waren so gut wie alle seelisch und körperlich geschädigt. Viele hatten auch nach ihrer Befreiung aus Theresienstadt gesundheitliche Probleme, eine niedrigere Lebensqualität oder ein verkürztes Leben.
Von Therkel Stræde, Lektor für Gegenwartsgeschichte, Universität von Süddänemark, Odense
Als offizielle Politik begann die Verfolgung der Juden schnell nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland 1933: Die Juden sollten aus der Gesellschaft entfernt werden. Am Anfang geschah dies, indem sie zur Auswanderung gezwungen wurden. Ein Teil floh nach Dänemark, und obwohl die dänische Flüchtlingspolitik immer restriktiver wurde, waren im Oktober 1943, als die Judenverfolgung kam, etwa 1500 deutsche, österreichische und tschechische Juden in Dänemark, die der nationalsozialistische Staat staatenlos gemacht hatte.
Weitere etwa 3000 waren Nachkommen in erster und zweiter Generation aus dem Zeitraum vor der russischen Revolution 1917, als Juden vor Not, Elend und Pogromen aus den Gebieten des Zarenreichs. Letztendlich lebten etwa 3000 Mitglieder des sogenannten „alten dänisch-jüdischen Geschlechts“ seit etwa dem 19., 18. oder sogar 17. Jahrhunderts in Dänemark. Im Lauf des 19. Jahrhunderts erhielten die Juden in Dänemark volle Bürgerrechte, und die meisten waren hervorragend in der dänischen Gesellschaft integriert. Sie mussten gegen Skepsis und Vorurteile aus der Mehrheitsbevölkerung kämpfen, aber als der militante Judenhass in Deutschland mehr und mehr voranschritt, stellten sich Medien und Bevölkerung immer mehr auf die Seite der verfolgten Minorität.
Bahnhofstrasse, herfra afgik transporterne mod 'ubestemte' steder. Dette ville sige udtryddelseslejrene. Theresienstadt, foråret 2018. Foto: Jacob Kornerup Ditlevsen